"Die Wunden sind immer noch tief"

Parlamentschef Holger Bellino (CDU) ist gerade wiedergewählt worden.

Seit der Debatte um die Windkraft sind die Gräben in der Neu-Anspacher Stadtverordnetenversammlung tief. Auch in der zurückliegenden Wahlperiode konnte das Vertrauen der Politiker untereinander nicht wieder aufgebaut werden. TZ-Redakteurin Anja Petter sprach mit Parlamentschef Holger Bellino (CDU) darüber, wie die Zusammenarbeit verbessert werden kann und welche Aufgaben in den nächsten fünf Jahren anstehen. Bellino ist gerade zum siebten Mal als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung wiedergewählt worden. Der 62-Jährige bekleidet das Amt seit 1993.
Am 22. April haben die Stadtverordneten anlässlich der konstituierenden Sitzung Sie zum siebten Mal zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Da meinten Sie: Hoffentlich ist es nicht das "verflixte siebte Mal". Haben Sie Angst, dass es so kommen könnte?
Nein, Angst habe ich nicht. Ich habe ja mittlerweile auch viel Erfahrung. Aber es tut mir von Herzen weh, wenn ich sehe, wie tief die Wunden noch immer sind. Es gibt mehr persönliche Verletzungen, als ich dachte, und die Aufgabe ist durchaus anspruchsvoll. Gerade angesichts der neuen Mehrheiten im Parlament.
Die Konstituierung der Ausschüsse und die Besetzung der Chef-Posten hat bereits gezeigt, dass es auch diesmal nicht einfach wird . . .
Die Sitzung verlief, ich formuliere es mal vorsichtig, unglücklich.
NBL-Chef Andreas Moses und Kevin Kulp (SPD) haben CDU, Grünen und FWG-UBN vorgeworfen, es habe Absprachen und Treffen gegeben . . .
Es hat keine Treffen gegeben. Aber es wäre doch lebensfremd zu erwarten, dass die Fraktionen vorher nicht miteinander sprechen. Der Wähler hat entschieden, und es gibt keine absolute Mehrheit, also muss man miteinander reden. Ich hörte aber auch, dass Telefonate stattgefunden haben, aber Treffen definitiv nicht. Ich weiß aber auch, dass SPD und NBL selbst versucht haben, mit anderen Absprachen zu treffen, beispielsweise mit der FDP. Zudem scheinen manche auszublenden, was in der vergangenen Legislaturperiode passiert ist. Da hat uns Andreas Moses nach seinem eigenen Auszug aus der CDU zwei Politiker abgeworben und die neue Mehrheit aus b-now, SPD, Linken und NBL hat einen Ausschuss abgeschafft, die Ausschuss-Größen verändert und Ulrike Bolz den HFA-Vorsitz weggenommen. Auch der Vorsitzende des Bauausschusses wurde in der laufenden Periode durch Moses ersetzt. Damals hat es keinen vergleichbaren Aufschrei gegeben.
Karin Birk-Lemper (FWG-UBN) als Vorsitzende des Sozialausschusses vorzuschlagen, wurde von der "Opposition" kritisiert. Da sie stellvertretende Geschäftsführerin des VzF ist, der in der Stadt zwei Kindergärten, das Jugendhaus und die Mini-Mitte betreibt, ist die Besetzung nicht gerade glücklich . . .
Karin Birk-Lemper war schon einmal Vorsitzende, hat den Ausschuss damals aufgewertet und da war sie auch schon beim VzF beschäftigt. Ich sehe da keinen generellen Widerspruch. Dies wurde auch vom Hessischen Städte- und Gemeindebund überprüft. Aber sie wird die Sitzung dann häufiger verlassen müssen. Schwieriger wird es bei dem Kita-Thema für die Freien Wähler aber in den Stadtverordnetenversammlungen, da Frank Vogel, ebenfalls FWG-UBN-Politiker, VzF-Geschäftsführer ist. Da fehlen dann schon zwei Stimmen.
Hätte nicht die SPD, immerhin zweitstärkste Kraft im Parlament, den Vorsitz bekommen können?
Hätte Sandra Zunke, die den Posten in der vergangenen Wahlperiode inne und den Ausschuss auch gut geführt hatte, zur Verfügung gestanden, wäre das - so meine Einschätzung - für die Fraktionen sicher eine Option gewesen. Aber die Sozialdemokraten haben ja nun die stellvertretende Vorsitzende bekommen. Nicht unbedeutend, da gerade in diesem Ausschuss ein Stellvertreter öfter im Einsatz sein wird.
War die vergangene Legislaturperiode für Sie die schwierigste?
Die anspruchsvollste auf jeden Fall. Aber auch die Atmosphäre war schlecht. Die Stimmung auf Empfängen oder nach den Sitzungen war deutlich abgekühlt. Ich habe das sehr bedauert.
Und das, obwohl die Windkraft nach dem Bürgerentscheid ja gar kein Thema mehr war . . .
Ich dachte eigentlich auch, dass die Wunden nach einem Jahr verheilt sind. Aber danach kam auch noch die Bürgermeister-Wahl und die Gründung der NBL.
Wie lässt sich das Vertrauen wieder aufbauen?
Nur durch gemeinsames Arbeiten. Und da sind alle gefordert, und alle müssen bereit dazu sein. Vertrauen ist wichtig, um zusammen etwas zu erreichen. Wir müssen einander zuhören, uns in Debatten auch einmal überzeugen lassen, auf andere Meinungen eingehen und nicht immer spitz argumentieren. Wir müssen keine Freunde werden, aber professionell miteinander umgehen, und ich denke, es wird klappen. Und ich bin auch sicher, dass es bei Sachentscheidungen wechselnde Mehrheiten geben wird, ohne dass man sich beim nächsten Tagesordnungspunkt revanchiert. Das ist gut so.
Manchmal bekommt man aber auch den Eindruck, dass die Parlamentarier in Neu-Anspach ein wenig empfindlicher sind als die Politiker - sagen wir mal - im Landtag?
Ja, dort wird mehr ausgeteilt und auch eine andere Rhetorik an den Tag gelegt. Ich finde, man muss gerade bei Zwischenrufen auch mal etwas schlucken können und darf nicht immer gleich eingeschnappt sein.
Was wünschen Sie sich für die nächsten fünf Jahre?
Bitte weniger Tischvorlagen, die vom Bürgermeister abends in der Sitzung ausgeteilt werden. Die Vorlagen müssen früher kommen, damit sich die Stadtverordneten darauf vorbereiten und eine wohlüberlegte Entscheidung treffen können. Es muss auch noch möglich sein, vor der Sitzung Gespräche zu führen, beispielsweise mit dem Elternbeirat. Außerdem sollte das Ein- und Ausgehen einzelner Parlamentarier im Rathaus ein Ende finden.
Was meinen Sie damit?
Als Kommunalpolitiker gehe ich nur in die Verwaltung, wenn ich gerufen werde, und nicht, um beispielsweise dem Bauamtsleiter zu sagen, was er zu tun hat. In der vergangenen Wahlperiode haben sich dort zu viele Mandatsträger aus jenen, den Bürgermeister tragenden Fraktionen aufgehalten. Für fachliche Nachfragen gibt es die Ausschüsse. Die Verwaltung ist terra incognita.
SPD-Parteichef Kevin Kulp hat Ihnen zuletzt vorgeworfen, in Ihrer Funktion nicht neutral genug gewesen zu sein. Können Sie das auf sich sitzen lassen?
Während der Kommunalwahl mag das mitunter gestimmt haben, da habe ich mich aber auch als Spitzenkandidat geäußert. Als Parlamentschef mache ich vielleicht auch nicht alles 100-prozentig richtig, aber einen groben Fehler habe ich sicher nicht gemacht. Zumal mir meine Leute auch manchmal vorwerfen, dass ich mit dem politischen Gegner zu nachsichtig sei und die "eigenen Leute" härter behandle. Und Herr Kulp hat mich ja auch gewählt.
Hatten Sie mal Bedenken, es könnte mit einer siebten Amtszeit nicht klappen?
Nein, aber natürlich gibt es kein Abonnement auf den Posten. Die Karten werden durch den Wähler immer wieder neu gemischt, und ich hätte auf unseren Wahlsieg auch nicht gewettet. Zumal ich die SPD nach dem Rückzug der Linken stärker eingeschätzt hätte - und wir mit der Masken-Affäre zu kämpfen hatten.
Macht Ihnen die Arbeit noch immer Spaß?
Meistens, denn es ist sehr schön, die Stadt als erster Bürger zu vertreten. Ich hoffe, dass ich nach der Corona-Zeit wieder mehr Kontakt mit den Bürgern habe.
Dafür hatten Sie mal ein bisschen mehr Freizeit?!
Nun ja, ich hatte abends zwar deutlich weniger Termine und Veranstaltungen von Vereinen gar nicht, aber dafür haben die Video-Schalten deutlich zugenommen. Am Samstag zum Beispiel gleich drei Stück und insgesamt von 10 bis 20.30 Uhr. Dazu kamen der Wahlkampf und die zusätzlichen Sitzungen des Arbeitskreises Finanzen. Auch in Wiesbaden war die Anspannung wegen Corona und der dort zu treffenden Entscheidungen groß. Hinzu kommt, dass man vor Ort jede Frage beantworten und jede Bitte um Unterstützung erfüllen möchte.
Welches sind die wichtigsten Aufgaben in Neu-Anspach in den kommenden fünf Jahren?
Ganz vorne stehen die Finanzen beziehungsweise die Sanierung des Haushaltes. Derzeit geht wenig, aber wir müssen dem Bürger eine Perspektive bieten und mit ihm sprechen, wenn es beispielsweise um Steuern und Gebühren geht. Vor allem die Elternbeiräte sind wichtig. Außerdem müssen wir auch den Seniorenbeirat mehr integrieren. Wichtig sind zudem die Stadtentwicklung und die Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen des Stadtentwicklungskonzeptes. Vor allem, was die Baugebiete angeht - und die Neue Mitte. Alleine mit einem Sandkasten vor dem Feldberg-Center ist es leider nicht getan. Es wäre schön, wenn wir in fünf Jahren sagen können: Wir haben wirklich etwas für Neu-Anspach erreicht, gemeinsam.

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